Ergebnisprotokoll der Sondersitzung des Beirats nach § 52b Absatz 3b AMG zur Bewertung der Versorgungslage mit Arzneimitteln, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind
20.11.2024
Ort
Webkonferenz von 13:00 - 15:30 Uhr
Die Sitzung fand am 10. Oktober 2024 als Webkonferenz unter dem Vorsitz des BfArM statt.
Die Beschlussfähigkeit des Beirats wurde seitens des BfArM zu Beginn der Sitzung festgestellt.
Dem Beirat gehören als stimmberechtigte Mitglieder folgende Verbände, Organisationen, Institutionen und Behörden an (in alphabethischer Reihenfolge):
- Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF)
- Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK)
- Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ)
- Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
- Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel (Paul-Ehrlich-Institut (PEI))
- Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.V. (BAH)
- Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI)
- Bundesverband des Pharmazeutischen Großhandels e.V. (PHAGRO)
- Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker e.V. (ADKA)
- Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA)
- Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V. (DKG)
- Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV)
- Kommission Antiinfektiva, Resistenz und Therapie (Kommission ART)
- Pro Generika e.V.
- Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband)
- Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (vfa)
- Vertreter der Interessen der Patientinnen und Patienten (BAG SELBSTHILFE e.V.)
- Vertretung der Bundesländer
An der Sitzung am 10. Oktober 2024 haben die folgenden stimmberechtigten Mitglieder nicht teilgenommen:
- Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e.V. (ABDA)
- Vertreter der Interessen der Patientinnen und Patienten (BAG SELBSTHILFE e.V.)
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und das Bundesministerium für Verteidigung (BMVg) haben als Gast an der Sitzung teilgenommen.
- Begrüßung
Der Vorsitzende des Beirats Dr. Michael Horn (BfArM) begrüßt alle Teilnehmenden und eröffnet die Sitzung. Zusätzlich begrüßt der Unterabteilungsleiter 11 des BMG, Herr Dr. Lars Nickel, die Teilnehmenden und bedankt sich für die zahleiche Teilnahme der Mitglieder. - Annahme der Tagesordnung
Die Tagesordnung wird ohne weitere Ergänzungen angenommen. Präsentation der Versorgungslage mit Arzneimitteln der Dringlichkeitsliste gemäß §129 Abs. 2b SGB V für die Infektionssaison Herbst/Winter 2024/2025
Aktuelle SituationDas BfArM präsentiert die aktuelle Versorgungslage mit Wirkstoffen der Dringlichkeitsliste (Datenstand: 01.10.2024). Aktuell weisen nur die drei Wirkstoffe Salbutamol, Clarithromycin und Sultamicillin eine Verfügbarkeit von unter 50 % auf. Im Vorjahr wiesen zum selben Zeitpunkt 11 Wirkstoffe der Dringlichkeitsliste eine Verfügbarkeit von unter 50 % auf (Datenstand: 03.10.2023). Ein Großteil der Wirkstoffe der Dringlichkeitsliste umfasst eine Verfügbarkeit von über 75 % in den Niederlassungen des vollversorgenden pharmazeutischen Großhandels.
Die Verfügbarkeit von Kinderarzneimitteln hat sich beim Großhandel im Vergleich zum Vorjahr spürbar verbessert.
AntibiotikasäfteIm Winter 2022/23 und Winter 2023/24 konnte anhand von Daten, die dem BfArM vorliegen, zeitweise ein erhöhter Einkauf von Antibiotikasäften in Apotheken im Vergleich zum Verkauf detektiert werden. Dies lässt auf eine überproportionale Bevorratung mit Antibiotikasäften schließen. Laut Daten, die der Techniker Krankenkasse vorliegen, konnte vor allem eine regionale Bevorratung durch Apotheken nachvollzogen werden, welche lokal u. U. zu einer Unterversorgung führen kann, die es zu vermeiden gilt. Laut dem BfArM sind aktuell Ein- und Abverkaufszahlen von Antibiotikasäften auf Apothekenebene relativ ausgeglichen. Grundsätzlich ist ein deutlich gestiegener Bedarf an Antibiotikasäften seit 2022 belegt. Der Großhandel geht derzeit von einer generell stabilen Versorgungslage aus, auch wenn nicht immer alle Arzneimittel verfügbar sind.
FiebersäfteDie Versorgungslage mit ibuprofen- und paracetamolhaltigen Fiebersäften hat sich deutlich stabilisiert. Die Verfügbarkeit beim pharmazeutischen Großhandel liegt bei nahezu 100 %. Eine hinreichende Bevorratung ist möglich.
SalbutamolDer am 27.12.2023 veröffentliche Versorgungsmangel gemäß § 79 Abs. 5 AMG für salbutamolhaltige Arzneimittel in pulmonaler Darreichungsform ermöglicht weiterhin den Import von salbutomalhaltigen Dosieraerosolen. Die importierte Ware deckt im Jahr 2024 einen beträchtlichen Marktanteil ab. Nach den dem BfArM vorliegenden Daten ist von einer bedarfsgerechten Verfügbarkeit bis mindestens Ende 2024 auszugehen.
Prognostische Entwicklung der Versorgung im Herbst/Winter 2024/2025
AntibiotikasäfteZur Ermittlung der prognostischen Versorgung mit Arzneimitteln der Dringlichkeitsliste gem. § 129 Absatz 2b SGB V wurden die entsprechenden Zulassungsinhaber gemäß § 52b Absatz 3e AMG angehört und Produktions- bzw. Lagerdaten von Oktober 2024 bis März 2025 abgefragt. Bereits geplante Importe gemäß § 79 Absatz 5 AMG wurden ebenfalls in der Auswertung berücksichtigt. Durch das BfArM wurden Prognosen für die Verfügbarkeit antibiotischer Wirkstoffe der Dringlichkeitsliste präsentiert, für die eine aktuelle Verfügbarkeit von < 75 % vorliegt.
- Amoxicillin/Clavulansäure (diverse Stärken): Der Bestand liegt deutlich über dem durchschnittlichen monatlichen Bedarf.
- Amoxicillin (diverse Stärken): Ab Dezember 2024 decken alle Stärken den Bedarf ab.
- Azithromycin (diverse Stärken): Der Bestand liegt deutlich über dem durchschnittlichen monatlichen Bedarf.
- Clarithromycin (diverse Stärken): Ab Dezember 2024 decken alle Stärken den Bedarf ab.
- Erythromycin (diverse Stärken): Ab November 2024 decken alle Stärken den Bedarf ab.
- Penicillin V (diverse Stärken): Die Stärke 750 I.E. deckt kontinuierlich den Bedarf ab. Die weiteren Stärken decken zeitweise den Bedarf. Pencillin V 250 I.E. ist nicht verfügbar.
- Sultamicillin: Arzneimittel der Dringlichkeitsliste mit diesem Wirkstoff sind nicht verfügbar im Herbst/Winter 2024/2025.
Auf Grundlage der Produktionsdaten prognostiziert das BfArM eine stabile Versorgung mit Antibiotikasäften für den Herbst/Winter 2024/2025. Für einige Wirkstoffe stehen einzelne Stärken nicht in vollem Umfang zur Verfügung. Therapeutische Alternativen stehen gemäß den mitgeteilten Daten in der Gesamtschau zur Kompensation zur Verfügung, um alle Anwendungsgebiete behandeln zu können.Die pharmazeutischen Verbände geben nach Rückfrage an, dass von einer auf gleichem Produktionsniveau wie 2023/2024 auszugehen ist.
SalbutamolSalbutamol Inhalationslösung: Der Bestand liegt deutlich über dem durchschnittlichen monatlichen Bedarf.
Salbutamol Dosieraeriosole: Bis Ende 2024 liegt eine knapp bedarfsdeckende Versorgung aufgrund von neuen Importen vor. Da die Import-Mengen für 2025 noch nicht bekannt sind, kann keine Aussage über die Versorgung ab Januar 2025 getroffen werden.
Salbutamol orale Tropfen: Der Bestand liegt deutlich über dem durchschnittlichen monatlichen Bedarf.
Zusammenfassung der VersorgungslageVon folgenden Wirkstoffen der Dringlichkeitsliste kann der Bedarf perspektivisch nicht gedeckt werden: Clindamycin, Sultamicillin, Ibuprofen Zäpfchen.
Das BfArM hat folgenden Maßnahmen zur Stabilisierung der Versorgungslage mit den Arzneimitteln der Dringlichkeitsliste etabliert:
- Aufrechterhaltung des Versorgungsmangels gem. § 79 Absatz 5 AMG für Salbutamol in pulmonaler Darreichungsform und Antibiotika-Säfte für Kinder
- Aufrechterhaltung der Empfehlung des Beirats zur leitliniengetreuen und sparsamen Verwendung salbutamolhaltiger Arzneimittel zur pulmonalen Anwendung
- engmaschiges Monitoring der eingehenden Lieferengpassmeldungen, Produktions- und Lagerdaten gem. § 52b Absatz 3f AMG, der Verfügbarkeit in Apotheken und im Großhandel
- erneute Anhörung gem. § 52b Absatz 3e zu einzelnen Wirkstoffen, sofern kritisches Potential detektiert wird
Insgesamt wird die Lage für die Infektionssaison 2024/2025 als wesentlich stabiler bewertet als es im Vorjahr (z.B. Amoxicillin, Penicillin V) der Fall war.
Diskussion
Mitglieder des Beirats regen an, die in der Sondersitzung präsentierten Daten auf der BfArM Homepage zu veröffentlichen, um einen transparenten Überblick über die aktuelle und prognostizierte Versorgungslage zu geben. Das BfArM wird den Vorschlag rechtlich prüfen, in welchem Umfang eine Publikation erfolgen könnte unter Wahrung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse.
Von einem gemeinsamen Statement des Beirats zur aktuellen und perspektivischen Versorgungslage mit Arzneimittel der Dringlichkeitsliste wird durch einzelne Mitglieder abgesehen.
Verschiedenes
Nirsevimabhaltige Arzenimittel
Das PEI informiert über die aktuelle Versorgungslage mit nirsevimabhaltigen Arzneimitteln im Zuge des am 23.09.2024 durch das BMG erklärten Versorgungsmangels gem. § 79 Absatz 5 AMG. Entsprechende Gestattungen bzw. Allgemeinverfügungen der Länder zum Import von nirsevimabhaltigen Arzneimitteln sind nach aktuellem Informationsstand des PEI in Arbeit.
Zusätzlich zum Versorgungsmangel wurde dem Zulassungsinhaber das Inverkehrbringen fremdsprachlich gekennzeichneter Ware (französisch und spanisch) gem. §10 (1a) und §11 (1c) AMG bis Ende Oktober 2024 durch das PEI gestattet.
Das PEI steht zur Versorgung mit nirsevimabhaltigen Arzneimitteln in engem Austausch mit dem Zulassungsinhaber des einzigen aktuell auf dem deutschen Markt zur Verfügung stehenden Präparats. Laut dem PEI vorliegenden Daten kann der voraussichtliche Bedarf an besagtem Präparat in der aktuellen Infekt-Saison mit den seitens des Zulassungsinhabers geplanten Lieferungen deutsch- und fremdsprachlich gekennzeichneter Ware gedeckt werden.
Laut Aussage der DKG ist die Versorgungssituation mit nirsevimabhaltigen Arzneimitteln gemäß Rückmeldung ihrer Mitglieder aktuell beherrschbar.
Natriumchlorid
Als Maßnahme zur Verbesserung der Versorgung informierte das BMG, dass die Bekanntmachung eines Versorgungsmangels gemäß §79 Abs. 5 AMG für NaCl-Lösungen vorbereitet wird, um Ware aus dem Ausland vereinfacht importieren zu können. Einzelimporte gemäß § 73 Absatz 3 AMG sind davon unberührt grundsätzlich möglich. Die Versorgungslage ist weiterhin angespannt, da die gemeldeten Lieferengpässe NaCl-haltiger Lösungen einen beträchtlichen Marktanteil betreffen und Ware nur kontingentiert abgegeben wird. Die Lieferengpass Situation hatte sich zuletzt weiter verschärft durch kurzfristig ausgefallene Lieferungen und weitere Kontingentierungen. Das BfArM befindet sich in einem engen Austausch mit den betroffenen pharmazeutischen Unternehmen. Mit einer Entspannung der Versorgungslage ist ab Ende des Jahres zu rechnen.
Die dem BfArM vorliegenden Verbrauchsdaten auf Klinikebene pro Fachdisziplin zeigen, dass kein erhöhter Verbrauch an NaCl-Lösungen detektiert werden kann (Stand 08/2024).
Für NaCl-Spüllösungen, die zu den Medizinprodukten gehören, konnten nach Angabe des BfArM Sonderzulassungen für ausländische Ware erteilt werden.
- Nächster Termin
Die nächste Beiratssitzung findet am 26. November 2024 statt.
Dr. Michael Horn
Bonn, den 20.11.2024