90. Sitzung (21. Januar 2025) – Ergebnisprotokoll
04.03.2025
Sachverständigen-Ausschuss für Verschreibungspflicht nach § 53 Absatz 2 AMG
Ort:
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Bonn
Teilnehmende:
Der Vorsitzende
Sachverständige des Ausschusses für Verschreibungspflicht
Vertreterinnen/Vertreter des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG)
Vertreterinnen/Vertreter des BfArM
Hinweis:
Der Ausschuss unabhängiger Sachverständiger nach § 53 Absatz 2 AMG berät das BMG im Hinblick auf Fragen zur Verschreibungspflicht von Arzneimitteln und gibt hierzu fachliche Empfehlungen ab. Änderungen der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) erfolgen durch Rechtsverordnungen des BMG; diese Verordnungen bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.
Tagesordnung:
TOP 1 Eröffnung der Sitzung
Der Vorsitzende begrüßt die Anwesenden und stellt fest, dass bei einem Ausschussmitglied ein Interessenkonflikt im Zusammenhang mit dem Tagesordnungspunkt (TOP) 5 – Sildenafil 25 mg und 50 mg – besteht. Das Mitglied wird daraufhin von der Beratung und Beschlussfassung zu diesem TOP ausgeschlossen. Ferner wird die Beschlussfähigkeit des Gremiums festgestellt.
TOP 2 Annahme der Tagesordnung
Die Tagesordnung wird ohne Änderungen angenommen.
TOP 3 Letzte Änderungen in der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV)
Es gab keine Änderungen der AMVV seit der letzten Sitzung des SVA.
TOP 4 Zubereitung aus Prednisolon und Salicylsäure
Antrag auf Entlassung aus der Verschreibungspflicht zur Anwendung auf der Kopfhaut
Zunächst trägt der Antragsteller vor.
Anschließend beantwortet er die von den Ausschussmitgliedern an ihn gerichteten Fragen:
Ein Ausschussmitglied fragt nach der Evidenz für die Vorgabe, dass die Anwendung des Produkts nicht auf der gesamten Kopfhaut erfolgen soll. Der Antragsteller erläutert, dass keine präparatespezifischen Studien zur Resorption vorlägen, Literaturdaten seien aber verfügbar. Die Anwendung des Produkts sollte nicht großflächig erfolgen, da mit zunehmender Anwendungsfläche das Risiko einer höheren Resorption und potenzieller systemischer Nebenwirkungen steige, wenngleich dieses Risiko als gering einzuschätzen sei.
Ein weiteres Ausschussmitglied bittet um eine Präzisierung des OTC-Antrags (OTC = nicht verschreibungspflichtig) hinsichtlich der vorgeschlagenen Packungsgröße von 50 ml. Der Antragsteller führt dazu aus, dass die Begrenzung auf 50 ml sicherstellen solle, dass Patienten das Produkt nicht über einen längeren Zeitraum oder in größerem Umfang anwenden, als vorgesehen sei. Ein Ausschussmitglied erkundigt sich, für wie lange eine 50-ml-Packung ausreicht. Der Antragsteller gibt an, dass diese Menge für etwa zehn Anwendungen ausreiche, wenn das Präparat auf die gesamte Kopfhaut aufgetragen werde.
Da keine weiteren Fragen bestehen, verlässt der Antragsteller den Sitzungsraum.
Das BfArM eröffnet die weitere Diskussion zu dem TOP mit einer Präsentation.
Ein Ausschussmitglied fragt, ob der Begriff “Kopfhaut” in der Positionsformulierung ausreichend präzise sei oder ob die Ergänzung “behaarte Kopfhaut” erforderlich wäre, um Laien besser verständlich zu machen, dass die Anwendung des Präparats nicht im Gesicht erfolgen sollte. Ein weiteres Ausschussmitglied empfiehlt, den Begriff “juckend” in die Positionsformulierung aufzunehmen, um Patienten eine Selbstdiagnose zu erleichtern. Hierzu merkt das BfArM an, dass die Positionsformulierung sich auf den derzeit zugelassenen Wortlaut der Indikation beziehe. Mehrere Ausschussmitglieder befürworten die Beibehaltung der vom BfArM vorgeschlagenen Positionsformulierung.
Ein Ausschussmitglied weist darauf hin, dass die Packungsgröße von 50 ml nicht ausreiche, um die von der Firma angegebenen zehn Anwendungen über die maximale Anwendungsdauer von drei Wochen abzudecken, was zu einem erneuten Erwerb des Präparates führen könnte. Das BfArM merkt an, dass bei Anwendung von deutlich weniger als 5 ml pro Tag eine 50-ml-Packung länger als für die vorgesehenen drei Wochen ausreichen würde. Aus Sicht des BfArM könnten die Apotheken in solchen Fällen im Rahmen der Kundenberatung geeignete Sicherheitsmaßnahmen ergreifen. Ein weiteres Ausschussmitglied ergänzt, dass das Nebenwirkungsrisiko auch bei längerer Anwendung mit einer geringen Menge von weniger als 5 ml aufgrund der niedrigen Exposition als gering einzuschätzen sei, gleiches gelte bei Barrierestörungen z. B. infolge von kleineren Wunden.
Da es keine weiteren Fragen oder Anmerkungen gibt, bittet der Vorsitzende um Abstimmung.
Abstimmung:
Der Sachverständigen-Ausschuss für Verschreibungspflicht empfiehlt einstimmig, den Antrag auf Entlassung aus der Verschreibungspflicht für die Zubereitung aus Prednisolon und Salicylsäure zur Anwendung auf der Kopfhaut anzunehmen.
Für den o. g. Antrag | 9 |
Gegen den o. g. Antrag | 0 |
TOP 5 Sildenafil 25 mg und 50 mg
Antrag auf Entlassung aus der Verschreibungspflicht zur oralen Anwendung
Zunächst trägt der Antragsteller vor.
Anschließend beantwortet er die von den Ausschussmitgliedern an ihn gerichteten Fragen:
Ein Ausschussmitglied fragt im Kontext der vorgestellten retrospektiven Daten zu kardio-protektiven Effekten, ob es prospektive Studien bezüglich derartiger Effekte von Sildenafil gäbe. Dies wird vom Antragsteller verneint.
Ein anderes Ausschussmitglied möchte Auskunft bezüglich möglicher Überdosierungen und der Notwendigkeit der ärztlichen Diagnostik bei erektiler Dysfunktion (ED) insbesondere im Zusammenhang mit kardiovaskulären Komorbiditäten. Der Antragsteller führt aus, dass in klinischen Studien Dosen bis 800 mg relativ gut vertragen worden seien. Hinsichtlich Komorbiditäten gibt der Antragsteller an, dass die Datenlage zum Zusammenhang zwischen koronarer Herzkrankheit (KHK) und erektiler Dysfunktion sehr schwach sei.
Weitere Fragen der Ausschussmitglieder betreffen die vorgestellten Daten zur Häufigkeit der ED vor allem bei jungen Männern und die Möglichkeit der missbräuchlichen Anwendung von Sildenafil insbesondere im Sinne eines Lifestylepräparates. Außerdem wird nach belastbaren Daten gefragt, die belegen, dass bei OTC-Verfügbarkeit die Anwender die Arzneimittel in der Apotheke und nicht aus fragwürdigen Quellen im Internet beziehen und dass infolge der Beratung in der Apotheke auch ein Arzt aufgesucht wird. Der Antragsteller nimmt zu den Fragen Stellung, verweist auf Untersuchungen aus Großbritannien nach Markteinführung von OTC-Sildenafil und stellt dar, dass es bei manchen Aspekten auch schwierig sei, Daten zu erheben.
Da keine weiteren Fragen bestehen, verlässt der Antragsteller den Sitzungsraum.
Das BfArM eröffnet die weitere Diskussion zu dem TOP mit einer Präsentation.
Zwei Ausschussmitglieder äußern, dass sie im Vergleich zu den bisher im Ausschuss diskutierten Anträgen zu Sildenafil keine deutlich andere Datenlage sehen.
Ein Ausschussmitglied äußert die Ansicht, dass durch einen OTC-Status für Sildenafil Männer mit ED (über die Apotheken) der ärztlichen Versorgung zugeführt werden könnten.
Verschiedene Ausschussmitglieder merken an, dass gerade bei jungen Männern ggf. auch fragliche Vorstellungen im Kontext der sexuellen „Leistungsfähigkeit“ bestünden und dann eher sexualtherapeutische und psychologische Unterstützungsansätze erforderlich wären.
Da es keine weiteren Fragen oder Anmerkungen gibt, bittet der Vorsitzende um Abstimmung.
Abstimmung:
Der Sachverständigen-Ausschuss für Verschreibungspflicht empfiehlt mehrheitlich, den Antrag auf Entlassung aus der Verschreibungspflicht für Sildenafil 25 mg und 50 mg abzulehnen.
Für den o. g. Antrag | 1 |
Gegen den o. g. Antrag | 7 |
TOP 6 Naloxon zur nasalen Anwendung
Antrag für die Ermöglichung einer Verschreibung für Einrichtungen der Drogen- und Suchthilfe, der Obdachlosenhilfe, des Strafvollzuges oder die Bundes- und Landespolizei durch Einfügung eines neuen Absatzes 2a in § 2 AMVV
Antrag auf Entlassung aus der Verschreibungspflicht als Notfalltherapie bei bekannter oder vermuteter Opioid-Überdosierung
Das BfArM eröffnet den TOP mit einer Präsentation.
Das BMG führt aus, dass sich die Drogenmarktsituation insbesondere vor dem Hintergrund des in Afghanistan verhängten Anbauverbots von Schlafmohn mit der möglichen Folge einer Zunahme synthetischer Opioide als Ersatz oder Streckmittel für Heroin verschärfen könnte. Es sei daher das Anliegen des BMG, Möglichkeiten für einen erleichterten Zugang zu Naloxon-Nasenspray zu schaffen, damit im Falle von Überdosierungen wirksam Todesfälle verhindert werden können.
Ein Ausschussmitglied fragt, ob die im vorgesehenen Absatz 2a benannten Einrichtungen klar umrissen seien. Zudem wird angeregt, zusätzlich die Ordnungsämter aufzuführen. Aus Sicht des BfArM obliegt die Einschätzung der Einrichtungen den rezeptierenden Stellen. Das BMG sagt zu, die Liste der Einrichtungen und insbesondere die Aufnahme der Ordnungsämter im Verordnungsgebungsverfahren zu prüfen.
Ein anderes Ausschussmitglied fragt, ob bei einem OTC-Status dieser auch für Rezepturarzneimittel gelten würde. Aus Sicht des BfArM spräche nichts dagegen.
Ein Ausschussmitglied führt an, dass die Finanzierung bei Abgabe nach Absatz 2a ebenso wie die Erstattung bei OTC-Status geklärt werden sollten. Zudem wird angeregt, eine Maximaldosis für den OTC-Bereich zu benennen. Das BfArM erläutert, dass die Naloxondosis von der Art und Dosis des verabreichten Opioids abhängig ist, häufig seien Nachdosierungen erforderlich. Naloxon hätte zudem ein sehr gutes Sicherheitsprofil. Daher sollte keine Maximaldosis verankert werden. Bezüglich der Finanzierung legt das BMG dar, dass eine Erstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen trotz OTC-Status vom Gemeinsamen Bundesausschuss geprüft werden würde.
Ein weiteres Ausschussmitglied äußert, dass Schulungen der Anwender wichtig seien, um z. B. die Möglichkeit der Auslösung eines Entzugssyndroms oder die Notwendigkeit, den Rettungsdienst zu rufen, zu adressieren. Das BfArM stimmt dem zu und führt aus, dass relativ kurz gefasstes, zugelassenes Schulungsmaterial für die Präparate zur Verfügung stehe. Vorgaben zu Schulungen könnten allerdings nicht über die AMVV geregelt werden. Das BMG merkt ergänzend an, dass bei einer OTC-Abgabe eine Unterweisung in der Apotheke – wie bei anderen Arzneimitteln auch – stattfinden könne. Für die Sammelverordnungen seien im Rahmen des Projektes NALtrain1 über 800 Trainer ausgebildet worden, die jetzt weitere Schulungen anbieten könnten, um möglichst viele Anwender zu erreichen.
Ein Ausschussmitglied weist darauf hin, dass auch Kinder und Jugendliche von Opioidüberdosierungen betroffen sein können, die derzeit verfügbaren Naloxon-Nasenspraypräparate aber nicht für Kinder zugelassen seien. Das könne in der Praxis zu Problemen führen.
Mehrere Ausschussmitglieder äußern ihre Unterstützung für die angestrebten Änderungen.
Da es keine weiteren Fragen oder Anmerkungen gibt, bittet der Vorsitzende um Abstimmung.
Abstimmung:
Der Sachverständigen-Ausschuss für Verschreibungspflicht empfiehlt einstimmig, den Antrag auf Einfügung eines neuen Absatzes 2a in § 2 AMVV anzunehmen.
Der Sachverständigen-Ausschuss für Verschreibungspflicht empfiehlt einstimmig, den Antrag auf Entlassung aus der Verschreibungspflicht für Naloxon zur nasalen Anwendung als Notfall-therapie bei bekannter oder vermuteter Opioid-Überdosierung anzunehmen.
Für den o. g. Antrag | 9 |
Gegen den o. g. Antrag | 0 |
TOP 7 Wirkstoffangabe bei Fertigarzneimittelverschreibungen mittels Praxisverwaltungssystem
Antrag auf Erweiterung des § 2 Absatz 1 Nummer 4 AMVV
Das BfArM eröffnet den TOP mit einer Präsentation.
Ein Ausschussmitglied unterstreicht die Relevanz der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) im Antrag, sieht jedoch die Gefahr, dass Rezepte sowie Medikationspläne dadurch unübersichtlicher werden. Es regt an, zunächst zu evaluieren, ob die vorgesehene Maßnahme tatsächlich die Therapiesicherheit erhöhen würde.
Ein anderes Ausschussmitglied stimmt zu, dass das Anliegen von großer Bedeutung und das zugrundeliegende Problem bereits bekannt seien. Es sei jedoch komplex und erfordere eine weitergehende Diskussion über technische Möglichkeiten sowie die praktische Umsetzung mit weiteren Akteuren wie z. B. IT-Experten. Im Rahmen einer umfangreichen Diskussion werden die vorgenannten Ausführungen von mehreren Ausschussmitgliedern generell unterstützt.
Das BMG führt aus, dass das grundlegende Problem schon länger bearbeitet werde und der schwerwiegende Nebenwirkungsfall aus dem Jahr 2024 den aktuellen Antrag ausgelöst habe. Die vorgeschlagene Maßnahme – die Erweiterung des § 2 Absatz 1 Nummer 4 AMVV – sei wichtig für die AMTS bzw. zur Vermeidung von Medikationsfehlern.
Seitens der Ausschussmitglieder werden mehrere Ideen zur Vermeidung von Medikationsfehlern vorgebracht, verbunden mit dem Wunsch nach technischen Lösungen.
Das BMG führt aus, dass die Wirkstoffbezeichnungen in den Arzneimitteldatenbanken, die Grundlage für die Praxissoftware sind, bereits enthalten seien. Neu sei im Rahmen des jetzigen Vorschlags nur die Verknüpfung mit dem Verordnungsdatensatz. Weiterführende Themen wie der Medikationsplan gingen allerdings über den Aufgabenbereich des Ausschusses hinaus.
Ein Ausschussmitglied äußert, dass die Abgabe eines Votums problematisch sei. Grundsätzlich sei der Antrag unterstützenswert, die Auswirkungen könnten aber weitreichend sein und seien aktuell schwer einzuschätzen.
Ein weiteres Ausschussmitglied schlägt vor, den Antrag seitens des Ausschusses zu vertagen. Die Ausschussmitglieder sollten vermeiden, durch ein negatives Votum, das aufgrund des zusätzlichen Informationsbedarfs zur Umsetzung und zu Fragen bezüglich der Konsequenzen entstehen könnte, ein falsches Signal zu senden. Aufgrund der Bedeutung und der Komplexität des Sachverhalts sollte das Thema erneut ausführlicher unter Einbindung der relevanten Stakeholder behandelt werden. Dies wird von weiteren Ausschussmitgliedern unterstützt.
Der Sachverständigen-Ausschuss für Verschreibungspflicht empfiehlt daher, den Tagesordnungspunkt zur erneuten Diskussion zu vertagen.
Termin der 90. Sitzung
15. Juli 2025 - 10 Uhr
Anlagen (Hinweis: Einige Präsentationen enthalten vertrauliche Angaben. Diese werden vor Veröffentlichung auf der BfArM-Webseite geschwärzt.):
Präsentation zu TOP 4 BfArM | |
Präsentation zu TOP 5 BfArM | |
Präsentation zu TOP 6 BfArM | |
Präsentation zu TOP 7 BfArM | |
Empfehlung zur Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) (zu TOP 4 und TOP 6) |