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Fluorchinolone: Schwere und langanhaltende Nebenwirkungen im Bereich Muskeln, Gelenke und Nervensystem

Antibiotika aus der Gruppe der Fluorchinolone können in sehr seltenen Fällen Nebenwirkungen im Bereich der Sehnen, Muskeln, Gelenke und des Nervensystems hervorrufen, die schwerwiegend und anhaltend, die Lebensqualität beeinträchtigend und möglicherweise dauerhaft sind. Betroffen davon sind alle Fluorchinolone, die oral (d.h. über den Mund) eingenommen, injiziert oder inhaliert werden. Zu dieser Gruppe gehören die in Deutschland zugelassenen Wirkstoffe Ciprofloxacin, Delafloxacin (in Deutschland noch nicht vermarktet), Levofloxacin, Moxifloxacin, Norfloxacin oder Ofloxacin. Auf den folgenden Seiten informiert das BfArM über das Risikobewertungsverfahren, die Einschränkungen in der Anwendung und erste Hinweise zur Wirksamkeit der eingeführten Risikominimierungsmaßnahmen.

Die hier beschriebenen Nebenwirkungen umfassen Entzündungen oder Risse der Sehnen, Muskelschmerzen oder Muskelschwäche, Gelenkschmerzen oder Gelenkschwellungen, Schwierigkeiten beim Gehen, Gefühle von Nadelstichen oder Kribbeln, brennende Schmerzen, Müdigkeit, Depressionen, Gedächtnisstörungen, Schlafstörungen, Probleme beim Sehen oder Hören, veränderter Geschmacks- oder Geruchssinn. Es können mehrere Organe oder Organsystemklassen gleichzeitig und mehrere Sinne betroffen sein. Sehnenschwellungen und Sehnenverletzungen können innerhalb von zwei Tagen nach dem Beginn der Behandlung mit einem Fluorchinolon, aber auch erst einige Monate nach dem Behandlungsende auftreten.

Auf Initiative des BfArM war im Februar 2017 ein europäisches Risikobewertungsverfahren zu den Fluorchinolonen und den ihnen chemisch verwandten (in Deutschland aber nicht mehr verfügbaren) Chinolonen gestartet worden. Dessen Ergebnis in Form von Einschränkungen der Anwendungsgebiete, Präzisierung der verbleibenden Indikationen sowie neuen Hinweisen und Warnhinweisen zu den oben genannten möglichen Nebenwirkungen lag im März 2019 mit dem Durchführungsbeschluss der Europäischen Kommission vor. Zur Umsetzung der daraus folgenden Risikominimierungsmaßnahmen wurde vom BfArM ein Bescheid an die pharmazeutischen Unternehmer, die in Deutschland Arzneimittelzulassungen mit diesen Wirkstoffen halten, erlassen. Die entsprechenden Fach- und Gebrauchsinformationen mussten von den Zulassungsinhabern entsprechend angepasst werden, so dass die Produktinformationen jeweils aktuell Auskunft über die zugelassenen Anwendungsgebiete und die Anwendungsrisiken geben.

An die Angehörigen der Gesundheitsberufe ist mit Datum vom 8. April 2019 ein Rote-Hand-Brief zur Information über die oben genannten Risiken, Einschränkungen der Indikationen und Handlungsempfehlungen versendet worden. Ein anderer Rote-Hand-Brief war aufgrund des Risikos für das Auftreten von Aortenaneurysmen und –dissektionen zuvor bereits am 26. Oktober 2018 verteilt worden. Ein weiterer Rote-Hand-Brief wurde am 29. Oktober 2020 versendet, um über das Risiko einer Herzklappenregurgitation/-insuffizienz zu informieren.

Im Anschluss an das europäische Risikobewertungsverfahren wurde eine von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) finanzierte Arzneimittelanwendungsstudie (englisch „Drug Utilisation Study“) durchgeführt, in der Daten aus der Primärversorgung in sechs europäischen Ländern (Belgien, Frankreich, Deutschland, Niederlande, Spanien und Vereinigtes Königreich) für den Zeitraum 2016 bis 2021 ausgewertet wurden. Der Studienbericht ist in den HMA-EMA Catalogues of real-world data sources and studies unter der Nummer 37856 veröffentlicht.

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Fluorchinolone weiterhin außerhalb ihrer empfohlenen Anwendungsgebiete verschrieben werden und dass die Maßnahmen zur Einschränkung der Anwendung dieser Arzneimittel als Ergebnis der EU-weiten Überprüfung nur eine geringe Wirkung hatten.

Die EMA weist auch darauf hin, dass die Studie mit Einschränkungen verbunden war und dass daher bei der Interpretation der Daten Vorsicht geboten ist. Der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) hat daher beschlossen, an die Angehörigen der Heilberufe in der EU erneut einen sogenannten Rote-Hand-Brief zu verschicken. In diesem Rote-Hand-Brief wird betont werden, dass die Verschreibung und Anwendung dieser Arzneimittel auf die zugelassenen Anwendungsgebiete (viele bereits eingeschränkt auf eine Behandlung der letzten Wahl bei Patienten, für die es keine alternativen therapeutischen Optionen gibt) beschränkt werden sollte. Diese Arzneimittel sollten ferner nur nach einer sorgfältigen Bewertung des Nutzens und der Risiken für den einzelnen Patienten verschrieben und angewendet werden.

Wenn Sie als Patientin oder Patient ein Fluorchinolon anwenden und erste Anzeichen einer der oben beschriebenen Nebenwirkungen vermuten, kontaktieren Sie sofort Ihre Ärztin oder Ihren Arzt. Wenn Sie ein Kortikosteroid einnehmen (wie Hydrocortison und Prednisolon) oder eine Behandlung mit einem Kortikosteroid benötigen, sprechen Sie vor Beginn der Behandlung mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt. Wenn Sie schon einmal schwere Nebenwirkungen mit einem Fluorchinolon oder Chinolon hatten, sollten Sie kein Fluorchinolon einnehmen und Sie sollten sofort Kontakt zu Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt aufnehmen. Wenn Sie Fragen oder Bedenken bezüglich Ihres Arzneimittels haben, sprechen Sie Ihre Ärztin oder Ihren Arzt oder Ihre Apothekerin oder Ihren Apotheker an.

Weitere Antworten zu häufig gestellten Fragen hat das BfArM hier zusammengestellt:

Weitere Informationen

Bulletin zur Arzneisicherheit 2/2023: Zehn Jahre PRAC – der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (Fluorchinolone siehe S. 34 ff.)

Bulletin zur Arzneimittelsicherheit 1/2021: Verordnungsqualität oraler Fluorchinolone in den deutschen Bundesländern 2014 bis 2019

Bulletin zur Arzneimittelsicherheit 1/2021: Fluorchinolone und ihr Risiko für Herzklappenregurgitation/-insuffizienz – neuer Warnhinweis in den Produktinformationen

BfArM-Pressemitteilung vom 08.04.2019

BfArM-Pressemitteilung vom 10.02.2017

Bulletin zur Arzneimittelsicherheit 4/2018: Fluorchinolone und ihr Risiko für Aortenaneurysmen und -dissektionen

Bulletin zur Arzneimittelsicherheit 1/2018: Aktuelles Risikobewertungsverfahren zu Fluorchinolonen und Chinolonen

Bulletin zur Arzneimittelsicherheit 1/2017: Neue Daten zum Risiko von Aortenaneurysmen und -dissektionen unter der Gabe von Fluorchinolonen

Empfehlung des PRAC zu "Fluoroquinolones – Retinal detachment", Juni 2014, S. 5

Bulletin zur Arzneimittelsicherheit 4/2012: Fluorchinolone und das potenzielle Risiko einer Netzhautablösung

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