
Bedingte Zulassung (Conditional Marketing Authorisation) innovativer Arzneimittel zur Behandlung von Krebs
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Sonderausgabe
Auf der CHMP-Sitzung vom 19. bis 22. Mai 2025 erhielten zwei von vier innovativen Arzneimitteln zur Behandlung von Krebs eine Empfehlung für eine bedingte Zulassung (Conditional Marketing Authorisation, CMA). Ein weiteres Arzneimittel, Blenrep (Belantamab-Mafodotin), das in dieser CHMP-Sitzung eine Zulassungsempfehlung erhielt, hatte bereits von 2020 bis 2024 eine bedingte Zulassung.
Die hohe Zahl bedingt zugelassener innovativer Krebsarzneimitteln gibt Anlass, in dieser Sonderausgabe die Besonderheiten der bedingten Zulassung und deren Unterschiede zu einer „normalen“ Zulassung zu beleuchten.
Was ist die gesetzliche Grundlage für eine bedingte Zulassung?
Der Standard für die Marktzulassung eines innovativen Arzneimittels durch die Europäische Kommission ist ein Zulassungsverfahren bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (European Medicines Agency, EMA) auf Basis der Richtlinie (Directive) 2001/83/EC, Article 8(3). Nach dieser ist für eine Zulassung erstens ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis zu zeigen und zweitens sind umfassende Daten zu pharmazeutischer Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit vorzulegen, wie in Richtlinie (Directive) 2003/63/EC Annex 1 ausgeführt.
Ergänzend wurde die Möglichkeit einer bedingten Zulassung (Conditional Marketing Authorisation, CMA) durch die europäische Verordnung (Regulation) 726/2004, Article 14-a eingeführt, um Arzneimittel, die einen besonders großen therapeutischen Fortschritt erwarten lassen, so früh wie möglich und vertretbar für Patientinnen und Patienten verfügbar zu machen.
Was sind die Charakteristika der bedingten Zulassung?
Für eine Zulassung gemäß Richtlinie 2001/83/EC, Article 8(3) sind erstens ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis und zweitens umfassende Daten nötig. Auch für eine bedingte Zulassung müssen die vorgelegten Unterlagen ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis belegen. Um jedoch den von diesen Arzneimitteln erwarteten großen therapeutischen Fortschritt so schnell wie möglich im klinischen Alltag verfügbar zu machen, kann eine positive Zulassungsentscheidung auf Basis von weniger als den üblicherweise erwarteten umfassenden Daten erfolgen. Wegen der Erwartung eines besonders hohen Nutzens des Arzneimittels wird vorübergehend eine etwas höhere Unsicherheit in Kauf genommen. Dies betrifft häufig die genauere Charakterisierung und Quantifizierung des medizinischen Nutzens, beispielsweise können Arzneimittel auf Basis von Remissionen (Tumoransprechraten) in klinischen Studien ohne randomisierte Vergleichsgruppe zugelassen werden, wenn aussagefähige Ergebnisse zur Wirkung der Behandlung auf das Überleben der Patientinnen und Patienten zu einem späteren Zeitpunkt verfügbar sein werden. Die im Zulassungsantrag eingereichten Unterlagen oder Daten müssen jedoch belegen, dass das Arzneimittel die vier Voraussetzungen in der folgenden Liste erfüllt.
Voraussetzungen für eine bedingte Zulassung
- Ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis ist belegt.
- Das Arzneimittel ermöglicht einen großen therapeutischen Fortschritt (major therapeutic advantage) und erfüllt damit einen bisher ungedeckten medizinischen Bedarf (unmet medical need).
- Nach der Zulassung werden zusätzliche Studienergebnisse erwartet, die die Datenlage vervollständigen.
- Die Vorteile der frühzeitigen Verfügbarkeit des Arzneimittels rechtfertigen die Akzeptanz einer vorrübergehend erhöhten Unsicherheit, die erst später durch die noch ausstehenden Daten adressiert werden soll.
Was ist der Unterschied der bedingten Zulassung nach 2003/63/EC zur „normalen“ Zulassung nach 2001/83/EC, Art. 8(3)?
Ein Antrag auf eine bedingte Zulassung ist keinesfalls der einfachere oder bequemere Weg zur Zulassung - es ist ein schnellerer Weg, der jedoch teils höhere Anforderungen als das Zulassungsverfahren nach Art. 8(3) stellt. Der Unterschied lässt sich mit einer Analogie veranschaulichen (Abbildung 1).

Für die Zulassung eines Arzneimittels sind üblicherweise zwei zentrale Anforderungen zu erfüllen: ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis und umfassende Daten. Nehmen wir als Analogie einen Lastwagen voller Studienergebnisse, der mit dem üblichen Zweiradantrieb - bestehend aus einem positives Nutzen-Risiko-Verhältnis und umfassenden Daten - auf der gut ausgebauten Straße auf dem Weg zur Zulassung ist. Soll es schneller gehen, kann eine Abkürzung über eine anspruchsvoller zu befahrende Schotterpiste gewählt werden – wenn das Fahrzeug entsprechend ausgerüstet ist.
Für die bedingte Zulassung können weniger als die üblichen umfassenden Daten ausreichen. In der Analogie entspricht dies einem kleineren Fahrzeug, das jedoch zwingend mit einem Vierradantrieb ausgestattet sein muss - d.h. die vier in der o.g. Liste oder Abbildung 1 dargestellten Kriterien erfüllen muss.
Mithilfe dieser Analogie lässt sich auch ein gelegentlich auftretendes Missverständnis ausräumen: Der Weg über die bedingte Zulassung ist keinesfalls als Ansatz zur Rettung für einen Zulassungsantrag gedacht, der Schwierigkeiten auf dem üblichen Weg gemäß Art. 8(3) hat (Wenn ein Lastwagen auf der normalen Straße schon schlecht fährt, ist Route über die Schotterpiste keine gute Alternative). Die bedingte Zulassung - die Abkürzung über die die Schotterpiste - soll besonderen Arzneimitteln vorbehalten bleiben, nämlich solchen mit weniger umfassenden Daten (kleineres Fahrzeug), die aber die genannten vier Kriterien erfüllen (mit Vierradantrieb).
Wie lange besteht eine bedingte Zulassung?
Eine bedingte Zulassung soll nur einen begrenzten Zeitraum überbrücken. Idealerweise, und in der Mehrzahl der Fälle, wird eine bedingte Zulassung in eine Zulassung nach Art. 8(3) überführt, wenn die im Rahmen der bedingten Zulassung vorgelegten Ergebnisse bestätigt sind und/oder die vorübergehend akzeptierten Unsicherheiten mit weiteren Daten ausgeräumt werden.
Ist dies nicht möglich - wenn die erforderlichen Daten entweder nicht im vorgesehenen Zeitraum eingereicht werden oder wenn die eingereichten Studienergebnisse nicht geeignet sind, die Unsicherheiten zu beseitigen und das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis zu bestätigen - kann die Zulassung widerrufen werden. In einigen Fällen reicht es auch aus, die Indikation auf diejenigen Teile des initial gewährten Anwendungsgebiets einzuschränken, für die die Unsicherheiten nicht bestanden oder ausgeräumt werden konnten.
Ein interessanter Sonderfall ist, wenn die nach der bedingten Zulassung eingereichten Ergebnisse zwar einerseits ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis bestätigen, es sich aber andererseits zeigt, dass das Arzneimittel nicht den erwarteten deutlichen medizinischen Fortschritt bringt, sondern sich in seinem Nutzen-Risiko-Verhältnis nicht oder nicht wesentlich von vergleichbaren, bereits zuvor zugelassenen Arzneimitteln unterscheidet. Damit ist eines der Kriterien für die bedingte Zulassung - der große therapeutische Fortschritt - nicht mehr erfüllt, sodass eine bedingte Zulassung auf Basis dieser Daten zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gerechtfertigt wäre. Ergeben die Daten jedoch mit hinreichender Sicherheit, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis des Arzneimittels zumindest nicht schlechter als bei den etablierten Standardtherapien ist, ist trotzdem eine Überführung in eine „normale“ Zulassung angebracht. Letztendlich sind jetzt die beiden Kriterien für eine solche Zulassung erfüllt: der Beleg eines positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses und - durch die nach der bedingten Zulassung nachgereichten Daten das Vorhandensein von umfassenden Daten zu Wirksamkeit, Sicherheit und pharmazeutischer Qualität. Diese Sondersituation - eine bedingte Zulassung unter der Erwartung, dass das Arzneimittel einen herausragenden therapeutischen Fortschritt ermöglichen wird, gefolgt von einer „normalen“ Zulassung, wenn sich gezeigt hat, dass das Arzneimittel zwar so gut wie bereits vorhandene Produkte ist, aber auch nicht besser - kann Herausforderungen bei Fragen des angemessenen Preises und der Kostenerstattung mit sich bringen. Diese Fragen fallen jedoch nicht in den Zuständigkeitsbereich der europäischen Zulassung, sondern werden zumeist auf nationaler Ebene geregelt. In Deutschland ist hierfür das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) sowie der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) zuständig.