
Übersicht über den Wirkungsmechanismus und die pharmakologischen Ziele der in Deutschland zugelassenen Wirkstoffe zur Behandlung von Krebs
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Arzneimittel zur Behandlung von Krebs sind seit vielen Jahren die zahlenmäßig größte Gruppe in neu zugelassenen Arzneimitteln. Gleichzeitig kommen zur pharmakologischen Behandlung von Krebs eine hohe Zahl verschiedener Wirkungsmechanismen zur Anwendung, mehr als in jedem anderen medizinischen Bereich. Eine strukturierte Übersicht orientiert sich an den Wirkungsmechanismen bzw. den molekularen Zielen für die pharmakologische Wirkung der Substanzen.
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Dabei können drei Ebenen unterschieden werden:
Klasse: Wirkstoffe mit demselben Wirkungsmechanismus oder Substanzen, die auf dasselbe molekulare Ziel wirken, werden in einer Wirkstoffklasse zusammengefasst.
Gruppe: Verwandte Wirkstoffklassen, beispielsweise Hemmer verschiedener Proteinkinasen werden zu Gruppen zusammengefasst. Die Wirkstoffe innerhalb der Klassen bzw. die verschiedenen Klassen untereinander sind dann chronologisch angeordnet, sodass jeweils die neueste Substanz oder der neueste Wirkungsmechanismus und damit die neueste Klasse oben steht.
Kategorie: Als übergeordnete Struktur unterscheiden wir vier sehr breite Kategorien: (1) Wirkstoffe, deren Wirkung durch das Immunsystem vermittelt wird, (2) Wirkstoffe, die die Signalübertragung beeinflussen und dadurch in die Wachstumskontrolle der Zellen eingreifen, (3) Wirkstoffe, deren Wirkung auf einer direkten oder indirekten Schädigung der Erbsubstanz der Krebszellen beruht, und schließlich (4) die heterogene Kategorie „Sonstige“ mit allem, was wir nicht anders kategorisieren können.
Substanzen, deren Wirkung durch das Immunsystem vermittelt wird
Folgt man dem Prinzip der chronologischen Reihenfolge auch für diese vier Kategorien, kann die Kategorie Immunologie an erste Stelle gesetzt werden. Coley’s Toxin von 1989 [1] wird als erster neuzeitlicher Ansatz zu einer Immuntherapie von Krebserkrankungen betrachtet. Aus Bonner Perspektive sollten jedoch auch ähnliche Ansätze Erwähnung finden, die von W. Busch an der Bonner Universitätsklinik verfolgt wurden [2].
Die mit Abstand höchste Zahl an Wirkstoffen für die Immuntherapie von Krebs findet sich in der Gruppe der gegen Oberflächenantigene von Blutzellen (hematologic cell surface antigens) gerichteten monoklonalen Antikörper. Die in den letzten zehn Jahren klinisch bedeutsamste Entwicklung war sicherlich in der Gruppe der Immuncheckpoint-Inhibitoren zu beobachten, während die Wirkstoffe aus der Gruppe der Immunmodulatoren eine demgegenüber geringere Bedeutung haben. Vergleichsweise neu sind die wenigen Wirkstoffe, die gegen Antigene in soliden Tumoren gerichtet sind.
Substanzen, die die zelluläre Signalübertragung beeinflussen
Für die Kategorie Cell Signalling kann die endokrinologische Behandlung des Prostatakrebs, wie sie von Huggins 1941 [3] eingeführt wurde, als Anfang angesehen werden. Das seit langem etablierte Prinzip der endokrinologischen Behandlung bestimmter Krebsarten wird deswegen als eigene Gruppe in dieser Kategorie geführt, auch wenn diese therapeutische Prinzip entwickelt wurde, lange bevor sich der Begriff des „Cell Signalling“ verbreitet hat.
Gegenwärtig wird die Kategorie Cell Signalling von Proteinkinasen verschiedenster Signalwege dominiert. Dabei kann unterschieden werden zwischen der Gruppe der streng intrazellulären Proteinkinasen und der Gruppe der Proteinkinasen mit einem an der Zelloberfläche zugänglichen Anteil. Bei streng intrazellulären Proteinkinasen sind gegenwärtig nur Arzneimittel mit kleinen molekularen Wirkstoffen zugelassen, während bei Proteinkinasen mit einem an der Zelloberfläche zugänglichen Anteil auch monoklonale Antikörper eingesetzt werden können.
Die Einordnung der Klasse der Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF)-bindenden Substanzen ist dabei eine Unstimmigkeit in der systematischen Struktur. Zwar ist der zugehörige Rezeptor (VEGFR) ist eine Tyrosinkinase, der Ligand VEGF aber nicht. Weil aber dieselbe Signalkette beeinflusst wird, wurde in diese Gruppe auch die Klasse der VEGF-bindenden Substanzen eingeordnet.
Die Gruppe “Other signalling“ ist sehr heterogen und beinhaltet so unterschiedliche Ziele wie einerseits die Hemmung von KRAS, eine der häufigsten driver mutations in Krebszellen und anderseits die Hemmung von RANKL, die zumeist nicht in Krebszellen, sondern in Osteoklasten des normalen Knochengewebes.
Substanzen mit der Wirkung einer direkten oder indirekten Schädigung der Erbsubstanz
Substanzen der Kategorie „Genome“ dominierten die pharmakologische Behandlung von Krebs im ausgehenden 20. Jahrhundert [4]. Ursprünglich von chemischen Kampfstoffen wie dem Senfgas abgeleitet, wirken sie auf die DNA oder die DNA Prozessierung beispielsweise während der Mitose. Diese vergleichsweise lange bekannten Wirkstoffe sind noch immer die Basis vieler chemotherapeutischer Regime, innovative Ansätze mit neuen molekularen Wirkungsmechanismen sind in dieser Kategorie jedoch eher selten.
Substanzen mit anderen Wirkungsmechanismen
Wirkstoffe mit anderen pharmakologischen Mechanismen, die keiner dieser Kategorien sinnvoll zugeordnet werden konnten, sind unter „Others“ zusammengefasst. Dabei sind hier auch Ansätze aufgenommen, bei denen die Wirkungsweise auch im weiteren Sinne als „pharmakologisch“ betrachtet werden kann, wie beispielsweise onkolytische Viren oder radioaktive Strahlung. Als Gemeinsamkeit der Wirkungsweise eines Teils dieser Substanzen kann man hier möglicherweise die Wirkung auf den householding metabolism der Zellen sehen, wobei auch innerhalb dieser Gruppe sehr unterschiedliche Mechanismen subsumiert werden.
Diese Übersicht wird jeweils zeitnah nach Entscheidungen des CHMP oder der Europäischen Kommission aktualisiert; Das Aktualisierungsdatum ist jeweils auf der Tabelle angegeben.
References:
[1] W. B. Coley: The treatment of inoperable sarcoma with the toxins of erysipelas and Bacillus prodigious: immediate and final results in 140 cases. J. AM. Med. Assn. 31: 389-95, 456-65, 1898. Zitiert nach: Shimkin M.B.: Contrary to Nature, US Department of Health, Education and welfare, DHEW Publication (NIH) 79-720
[2] https://www.wikiwand.com/en/Wilhelm_Busch_(surgeon) – last accessed 13.02.2025
[3] C. B. Huggins and C. V. Hodges: Studies on prostatic cancer: I. The effect of castration, of estrogen and of androgen injection on serum phosphatases in metastatic carcinoma of the prostate. Cancer Res. 1: 293-297, 1941
[4] L. s. Goodman, M. M. Wintrobe, W. Dameshek, M. J. Goodman, A. Gilman A, M. T. McLennan: Nitrogen mustard therapy. JAMA 132: 126–132; 1946