Azithromycin: Neubewertung des Nutzens und der Risiken
23.05.2025
Wirkstoff: Azithromycin
23.05.2025 - Gutachten des CHMP
Änderungen bei der Anwendung des Antibiotikums Azithromycin
Die neuen Empfehlungen zielen auf eine verbesserte Anwendung und die Minimierung der antimikrobiellen Resistenzentwicklung ab.
Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der EMA hat mehrere Änderungen im Hinblick auf die Anwendung des Antibiotikums Azithromycin in der EU empfohlen, einschließlich der Streichung bestimmter Anwendungsgebiete. Ziel dieser Empfehlungen ist es, den Einsatz dieses häufig angewendeten Antibiotikums zu verbessern und die Entwicklung antimikrobieller Resistenzen, d.h. die Fähigkeit von Mikroorganismen, gegenüber antimikrobiellen Wirkstoffen unempfindlich zu werden, zu minimieren.
Azithromycin wird seit Jahrzehnten zur Behandlung einer Vielzahl von Infektionskrankheiten sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen eingesetzt. Es ist in der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation (WHO)1 enthalten, was seine Bedeutung für die öffentliche Gesundheit unterstreicht.
Azithromycin ist jedoch von der WHO auch als Antibiotikum mit einem höheren Risiko für die Entwicklung antimikrobieller Resistenzen eingestuft worden und wird in der sogenannten „Watch“-Kategorie der WHO-AWaRe-Klassifikation2 geführt. Daten zeigen, dass antimikrobielle Resistenzen gegenüber diesem Antibiotikum in den letzten Jahren zugenommen haben.
Arzneimittel in der WHO „Watch“-Kategorie sollten insbesondere einem umsichtigen Einsatz und einer sorgfältigen Überwachung unterliegen. Dennoch deuten Verbrauchsdaten auf eine zunehmende Anwendung von Azithromycin in den letzten Jahren hin. Eine kürzlich von der EMA beauftragte Studie, durchgeführt durch DARWIN EU3, zeigte eine weit verbreitete Anwendung dieses Antibiotikums in der gesamten EU, sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern.
Zur Förderung eines rationalen Einsatzes dieses Antibiotikums auf Basis aktueller Evidenz und zur Erhaltung der Wirksamkeit hat der CHMP den Nutzen und die Risiken von azithromycinhaltigen Arzneimitteln, die oral oder intravenös (als Infusion) verabreicht werden, für die verschiedenen zugelassenen Anwendungsgebiete neu bewertet.
Der Ausschuss überprüfte alle verfügbaren Daten, einschließlich der Ergebnisse klinischer Studien, Resistenzdaten von Krankheitserregern, die für die zugelassenen Indikationen in der EU relevant sind, eine Risikobewertung zur Wahrscheinlichkeit der Resistenzentwicklung während der Behandlung sowie Empfehlungen aus aktuellen nationalen und europäischen Behandlungsleitlinien.
Anwendungsgebiete werden überarbeitet und harmonisiert
Auf Grundlage dieser umfassenden Neubewertung hat der CHMP empfohlen, die meisten zugelassenen Anwendungsgebiete von Azithromycin zur oralen oder intravenösen Anwendung zu ändern. Diese Änderungen zielen darauf ab, die zugelassenen Indikationen mit den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen in Einklang zu bringen und sie präziser zu formulieren. Zudem sollen die Dosierungsempfehlungen und Gegenanzeigen für alle Präparate vereinheitlicht sowie Angaben zu Arzneimittelinteraktionen, zur Anwendung in der Schwangerschaft, zu Nebenwirkungen und zu relevanten Daten aus klinischen Studien harmonisiert werden.
Die Überarbeitungen betreffen insbesondere:
- Infektionen der oberen und unteren Atemwege (Infektionen der Nase, des Rachens, der Atemwege und Lunge), wie z. B. akute bakterielle Sinusitis, akute Streptokokken-Tonsillitis und Pharyngitis, akute Exazerbationen einer chronischen Bronchitis und ambulant erworbene Pneumonie;
- sexuell übertragbare Erkrankungen, wie Urethritis und Zervizitis, verursacht durch Chlamydia trachomatis oder Neisseria gonorrhoeae;
- Infektionen des weiblichen Genitaltrakts, wie entzündliche Erkrankungen des Beckens;
- Zahninfektionen, z. B. parodontaler Abszess und Parodontitis;
- Behandlung und Prophylaxe von Infektionen durch Mycobacterium avium-Komplex bei Personen, die mit HIV-1 leben.
Die vollständige Liste der überarbeiteten Anwendungsgebiete ist in der veröffentlichten Produktinformation zu finden.
Anwendungsgebiete, die wegfallen
Darüber hinaus hat der Ausschuss empfohlen, die Anwendung von oral angewendetem Azithromycin für folgende Indikationen einzustellen (die derzeit nur in wenigen Mitgliedstaaten zugelassen sind):
- mittelschwere Akne vulgaris (auch bekannt als Akne), eine Erkrankung, bei der Hautporen durch überschüssigen Talg und abgestorbene Hautzellen verstopft werden;
- Eradikation von Helicobacter pylori, einem Bakterium, das eine Mageninfektion verursacht und zu chronischer Entzündung und Ulkusbildung führen kann;
- Prävention von Exazerbationen (Schüben) bei eosinophilem und nicht-eosinophilem Asthma (zwei unterschiedliche Asthmaformen).
Der Ausschuss kam zu dem Schluss, dass die derzeit verfügbaren Wirksamkeitsdaten für diese Anwendungsgebiete unzureichend sind und der Nutzen daher die Risiken nicht überwiegt.
Neue Warnhinweise
Der CHMP empfahl außerdem, einen Warnhinweis in die Produktinformationen aufzunehmen, der das Risiko der Entwicklung antimikrobieller Resistenzen hervorhebt. Darin wird erläutert, dass Azithromycin die Resistenzentwicklung begünstigen kann, da es nach Behandlungsende über einen langen Zeitraum in abnehmender Konzentration im Plasma und in den Geweben verbleibt.
Der Warnhinweis wird verdeutlichen, dass Azithromycin nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung angewendet werden sollte, unter gleichzeitiger Berücksichtigung der lokalen Resistenzsituation und wenn andere bevorzugte Behandlungsregime nicht geeignet sind.
Der CHMP-Beschluss wird nun an die Europäische Kommission weitergeleitet, die eine rechtsverbindliche Entscheidung treffen wird, die in allen EU-Mitgliedstaaten gilt.
Informationen für Patientinnen und Patienten
Das Antibiotikum Azithromycin wird seit Jahrzehnten zur Behandlung einer Vielzahl von Infektionen bei Kindern und Erwachsenen angewendet.
In den letzten Jahren hat jedoch die Resistenz, d.h. die Widerstandsfähigkeit von Krankheitserregern, gegenüber diesem Antibiotikum zugenommen. Um die Wirksamkeit dieses Antibiotikums, das gegen viele Bakterienarten wirksam ist, zu erhalten, hat die EMA alle verfügbaren Daten überprüft, um einen gezielteren Einsatz auf Grundlage des aktuell verfügbaren Wissens über den Wirkstoff Azithromycin zu fördern.
Als Ergebnis dieser neuen Bewertung wurden die meisten zugelassenen Anwendungsgebiete überarbeitet und präziser formuliert. Auch die Dosierungsempfehlungen, einschließlich der altersabhängigen Dosierung, wurden vereinheitlicht.
Darüber hinaus darf Azithromycin für die folgenden Erkrankungen nicht mehr angewendet werden, da seine Wirksamkeit nicht eindeutig belegt ist: mittelschwere Akne vulgaris (auch bekannt als Akne); Eliminierung von Helicobacter pylori (ein Bakterium, das Mageninfektionen verursacht und zu chronischen Entzündungen und Geschwüren führen kann); und Vorbeugung von Schüben bei eosinophilem und nicht-eosinophilem Asthma (zwei Formen von Asthma).
Wenn Ihnen ein Arzneimittel mit Azithromycin verschrieben wurde und Sie Fragen zu Ihrer Behandlung haben, wenden Sie sich bitte an Ihre Ärztin, Ihren Arzt oder Ihre Apotheke.
Informationen für medizinisches Fachpersonal
Zur Förderung eines gezielteren Einsatzes von Azithromycin zur oralen und intravenösen Anwendung sowie zur Erhaltung seiner Wirksamkeit hat der CHMP den Nutzen und die Risiken in den verschiedenen zugelassenen Anwendungsgebieten neu bewertet.
Auf Grundlage dieser umfassenden Überprüfung hat der Ausschuss die zugelassenen Anwendungsgebiete präzisiert und an die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse angepasst. Auch die Dosierungsempfehlungen wurden vereinheitlicht. Vollständige Informationen zu den zugelassenen Anwendungsgebieten finden sich in der überarbeiteten Fachinformation.
Darüber hinaus kam der CHMP zu dem Schluss, dass bei folgenden Anwendungsgebieten von oralem Azithromycin das Nutzen-Risiko-Verhältnis negativ ausfällt: mittelschwere Akne vulgaris, Eradikation von Helicobacter pylori sowie Prävention von Exazerbationen bei eosinophilem und nicht-eosinophilem Asthma. Diese Anwendungsgebiete werden daher aus der Produktinformation entfernt.
Ein neuer Warnhinweis wird in die Fachinformation aufgenommen, der auf die Entwicklung antimikrobieller Resistenzen und die Notwendigkeit einer sorgfältigen Nutzen-Risiko-Abwägung unter Berücksichtigung der lokalen Resistenzlage und der Verfügbarkeit bevorzugter Behandlungsregime hinweist.
Diese Neubewertung wurde durchgeführt, da verfügbare Verbrauchsdaten auf eine zunehmende Anwendung von Azithromycin in den letzten Jahren hindeuten – ein Trend, der im Widerspruch zu der Empfehlung zum umsichtigen Einsatz von Antibiotika der WHO-Watch-Kategorie steht.
Eine von der EMA in Auftrag gegebene und von DARWIN EU durchgeführte Studie (DARWIN-Studienbericht C1-003)3, die die Verordnung von 141 Antibiotika aus der WHO-Watch-Kategorie zwischen 2012 und 2021 in fünf europäischen Ländern (Frankreich, Deutschland, Spanien, Niederlande und Vereinigtes Königreich) analysierte, ergab, dass Azithromycin in den meisten analysierten Datenbanken zu den fünf am häufigsten verordneten Antibiotika zählte und in allen einbezogenen Datenbanken unter den zehn häufigsten lag.
Gleichzeitig zeigen Daten aus den ATLAS4- und SENTRY5-Datenbanken einen weltweit zunehmenden Anteil resistenter Bakterienstämme gegenüber Azithromycin. Dies betrifft insbesondere Erreger, die mit den zugelassenen Indikationen von Azithromycin im Europäischen Wirtschaftsraum in Verbindung stehen.
Weitere Informationen zum Arzneimittel
Azithromycin gehört zur Gruppe der Makrolid-Antibiotika. Es kann oral (als Tabletten oder orale Suspension für Kinder) oder intravenös (als Infusion) zur Behandlung von Infektionen durch Gram-positive und Gram-negative Bakterien angewendet werden – beispielsweise bei Infektionen der oberen und unteren Atemwege, wie der ambulant erworbenen Pneumonie.
Systemische Azithromycin-Präparate sind seit vielen Jahren national in der EU zugelassen und werden unter verschiedenen Markennamen vertrieben.
Einige azithromycinhaltige Arzneimittel sind in der EU auch zur topischen Anwendung (z. B. als Augentropfen) zugelassen. Diese Präparate waren nicht Gegenstand dieses Bewertungsverfahrens.
Weitere Informationen zum Verfahren
Die Überprüfung wurde am 30. Oktober 2023 auf Antrag des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gemäß Artikel 31 der Richtlinie 2001/83/EG eingeleitet.
Die Bewertung wurde vom Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) durchgeführt, der für Fragen zu Humanarzneimitteln zuständig ist und die Stellungnahme der Europäischen Arzneimittel-Agentur verabschiedet hat. Die Stellungnahme des CHMP wird nun an die Europäische Kommission weitergeleitet, die eine endgültige rechtsverbindliche Entscheidung erlassen wird, die in allen EU-Mitgliedstaaten gilt.
Referenzen:
1WHO Model List of Essential Medicines - 23rd list, 2023: https://www.who.int/publications/i/item/WHO-MHP-HPS-EML-2023.02; WHO Model List of Essential Medicines for Children - 9th list, 2023: https://www.who.int/publications/i/item/WHO-MHP-HPS-EML-2023.03
2 2021 AWaRe classification. WHO access, watch, reserve, classification of antibiotics for evaluation and monitoring of use: https://www.who.int/publications/i/item/2021-aware-classification
3 DARWIN EU® DUS of Antibiotics in the ‘Watch’ category of the WHO AWaRe classification of antibiotics for evaluation and monitoring of use | HMA-EMA Catalogues of real-world data sources and studies
4 https://atlas-surveillance.com/login
5 https://www.jmilabs.com/sentry-surveillance-program/
10.11.2023 - Start des Verfahrens
EMA beginnt mit einer Überprüfung azithromycinhaltiger Arzneimittel
Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der europäischen Arzneimittelagentur (EMA) hat eine Überprüfung von systemischen Arzneimitteln (zur oralen oder intravenösen Anwendung) eingeleitet, die das Antibiotikum Azithromycin enthalten. Die antimikrobielle Resistenz (AMR) gegen Azithromycin nimmt in der Europäischen Union (EU) zu. Aus diesem Grund und angesichts der breiten Anwendung dieser Arzneimittel wird eine Neubewertung des Nutzens und der Risiken von azithromycinhaltigen Arzneimitteln in seinen zahlreichen zugelassenen Anwendungsgebieten als notwendig angesehen, um die Anwendung zu optimieren und das Risiko der Entwicklung von Antibiotikaresistenzen zu minimieren.
Viele azithromycinhaltige Arzneimittel werden seit Jahrzehnten angewendet und wurden im Rahmen nationaler Verfahren in der EU zugelassen. Dies hat zu großen Unterschieden in den Produktinformationen hinsichtlich der Indikationen, der Dosierung und Anwendungsdauer sowie der sicherheitsrelevanten Informationen geführt. Diese Unterschiede können einem sinnvollen Einsatz von und dem sparsamen Umgang mit Antibiotika entgegenstehen und zu einer weiteren Zunahme der antimikrobiellen Resistenz gegenüber Azithromycin führen.
Die EMA wird nun alle verfügbaren Informationen über den Nutzen und die Risiken von Azithromycin überprüfen und erwägen, ob Änderungen an den in den EU-Mitgliedstaaten erteilten Zulassungen erforderlich sind.
Anwendung von Azithromycin
Azithromycin wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Antibiotikum mit erhöhtem Risiko für eine Antibiotikaresistenz eingestuft und in die Beobachtungsliste der WHO (AWaRe-Klassifizierung)1 aufgenommen. Außerdem ist es in der WHO-Liste der unentbehrlichen Arzneimittel aufgeführt2,3.
Im Rahmen ihrer Maßnahmen zur Bekämpfung der antimikrobiellen Resistenzen gab die EMA im Jahr 2022 eine Studie in Auftrag, um die Verschreibung von Antibiotika zu untersuchen, welche auf der Beobachtungsliste der WHO stehen. Diese von DARWIN EU4 durchgeführte Studie ergab, dass Azithromycin in der EU bei Erwachsenen und Kindern häufig verschrieben wird. Des Weiteren zeigten Daten aus der Antibiotikaverbrauchs-Surveillance von Deutschland5, dass Azithromycin während der COVID-19-Pandemie in Krankenhäusern verstärkt eingesetzt wurde.
Mehr über die Arzneimittel
Azithromycin gehört zu einer Gruppe von Antibiotika, die Makrolide genannt werden. Es kann oral oder per Injektion zur Behandlung von Infektionen angewendet werden, die durch grampositive und gramnegative Bakterien verursacht werden. Hierzu gehören u.a., aber nicht ausschließlich, Infektionen der oberen und unteren Atemwege wie die ambulant erworbene Pneumonie.
Azithromycinhaltige systemische Arzneimittel sind in der EU seit vielen Jahren national zugelassen und unter verschiedenen Markenbezeichnungen im Handel.
Einige azithromycinhaltige Arzneimittel sind in der EU für die topische Anwendung (als Augentropfen) zugelassen. Diese Arzneimittel sind nicht Gegenstand dieses Risikobewertungsverfahrens.
Mehr über das Verfahren
Die Überprüfung wurde auf Antrag des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte gemäß Artikel 31 der Richtlinie 2001/83/EG eingeleitet.
Die Überprüfung wird vom Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) durchgeführt, der für Fragen im Zusammenhang mit Humanarzneimitteln zuständig ist und der eine Stellungnahme abgeben wird. Die Stellungnahme des CHMP wird dann an die Europäische Kommission weitergeleitet, die eine endgültige, rechtsverbindliche Entscheidung erlassen wird, die in allen EU-Mitgliedstaaten gilt.
1 2021 AWaRe classification. WHO access, watch, reserve, classification of antibiotics for evaluation and monitoring of use: https://www.who.int/publications/i/item/2021-aware-classification
2 WHO Model List of Essential Medicines - 23rd list, 2023: https://www.who.int/publications/i/item/WHO-MHP-HPS-EML-2023.02
3 WHO Model List of Essential Medicines for Children - 9th list, 2023: https://www.who.int/publications/i/item/WHO-MHP-HPS-EML-2023.03
4 https://www.encepp.eu/encepp/viewResource.htm?id=104143
5 https://avs.rki.de/Content/ReferenceData/HospitalComparisonTime.aspx
Weitere Informationen
Details zu dem Verfahren können unter folgendem Link bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) abgerufen werden: