Venöse Thromboembolien und kombinierte hormonale Kontrazeptiva
23.02.2024
Venöse Thromboembolien sind eine seit langem bekannte, seltene Nebenwirkung bei der Anwendung hormonaler Verhütungsmittel, den sogenannten kombinierten hormonalen Kontrazeptiva. Diese Arzneimittel enthalten eine Kombination aus den beiden weiblichen Geschlechtshormonen Östrogen und Progestagen (ein künstlich hergestelltes Gestagen).
Nutzen-Risiko-Verhältnis
Das BfArM hat im Jahr 2013 zusammen mit den anderen europäischen Behörden und der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) das Verhältnis von Nutzen und Risiko dieser Arzneimittel für die Schwangerschaftsverhütung bewertet. Dabei wurde untersucht, wie hoch das Risiko ist, durch die Einnahme eine venöse Thromboembolie zu erleiden und, ob das Anwendungsgebiet dieser Arzneimittel beschränkt und/oder andere regulatorische Maßnahmen ergriffen werden sollten. Berücksichtigt wurden alle in der Europäischen Union als kombinierte hormonale Kontrazeptiva zugelassenen Arzneimittel. Dazu gehören die sogenannten „Pillen“, aber auch die Hormonpflaster und Hormonringe, die zur Schwangerschaftsverhütung zugelassen sind.
Diese erneute Bewertung ergab, dass bei allen kombinierten hormonalen Kontrazeptiva der Nutzen die Risiken überwiegt.
Es besteht jedoch das Risiko, eine venöse Thromboembolie oder eine wesentlich seltenere arterielle Thromboembolie zu entwickeln. Insgesamt ist dieses Risiko gering.
Das Risiko, eine Thrombose oder eine venöse Thromboembolie zu entwickeln ist jedoch bei den einzelnen Arzneimitteln unterschiedlich. Bei den kombinierten hormonalen Kontrazeptiva wird das Risiko einer venösen Thromboembolie durch den darin verwendeten Gestagenanteil beeinflusst.
Im Dezember 2018 konnte das im Jahr 2013 noch unbekannte Risiko für eine venöse Thromboembolie für die Kombination aus Dienogest mit Ethinylestradiol auf der Grundlage der Ergebnisse einer Metaanalyse bestimmt und im Oktober 2018 auch für die Kombination aus Dienogest und Estradiolvalerat basierend auf Ergebnissen der INAS-SCORE-Studie abgeschätzt werden.
Im Jahr 2020 konnte zudem das bis dahin unbekannte Risiko für eine venöse Thromboembolie für das orale Kontrazeptivum Seasonique (Levonorgestrel im Langzyklus) auf Basis einer Kohortenstudie näher ermittelt werden.
Im November 2021 konnte auch das zuvor noch unbekannte Risiko für eine venöse Thromboembolie für die Kombination aus Nomegestrol und Estradiol auf der Grundlage der Ergebnisse einer Sicherheitsstudie bestimmt werden.
Im Januar 2024 konnte schließlich das bisher unbekannte Risiko für eine venöse Thromboembolie für die Kombination aus Chlormadinon und Ethinylestradiol auf Grundlage der Ergebnisse einer retrospektiven Kohortenstudie bestimmt und in der folgenden Tabelle ergänzt werden:
Gruppe | Anzahl |
---|---|
Frauen, die keine hormonalen Verhütungsmittel verwenden und nicht schwanger sind | Etwa 2 von 10.000 Frauen |
Frauen, die ein kombiniertes hormonales Kontrazeptivum verwenden, das Levonorgestrel (im 28-Tage Zyklus), Norethisteron oder Norgestimat enthält | Etwa 5-7 von 10.000 Frauen |
Frauen, die Seasonique verwenden, das Levonorgestrel im Langzyklus enthält1 | Etwa 5-15 von 10.000 Frauen2 |
Frauen, die ein kombiniertes hormonales Kontrazeptivum verwenden, das Chlormadinon enthält | Etwa 6-9 von 10.000 Frauen |
Frauen, die ein kombiniertes hormonales Kontrazeptivum verwenden, das Etonogestrel oder Norelgestromin enthält | Etwa 6-12 von 10.000 Frauen |
Frauen, die ein kombiniertes hormonales Kontrazeptivum verwenden, das Dienogest in Kombination mit Ethinylestradiol enthält | Etwa 8-11 von 10.000 Frauen |
Frauen, die ein kombiniertes hormonales Kontrazeptivum verwenden, das Drospirenon, Gestoden oder Desogestrel enthält | Etwa 9-12 von 10.000 Frauen |
Frauen, die ein kombiniertes hormonales Kontrazeptivum verwenden, das Nomegestrol in Kombination mit Estradiol oder die Kombination aus Dienogest mit Estradiolvalerat enthält | Etwa gleich wie bei anderen kombinierten hormonalen Kontrazeptiva, einschließlich levonorgestrelhaltigen Kontrazeptiva |
1 Seasonique (84 Tage 150 µg Levonorgestrel in Kombination mit 30 µg Ethinylestradiol danach 7 Tage 10 µg Ethinylestradiol)
2basierend auf dem 95% Konfidenzintervall des Hazard ratios (HR) und der Spannbreite der geschätzten Inzidenz für Levonorgestrel (5-7 pro 10.000 Frauen und Anwendungsjahr)
Änderungen des Nutzen-Risiko-Verhältnisses werden zudem routinemäßig unter anderem im Rahmen von periodischen Sicherheitsberichten bewertet.
Für Erstanwenderinnen: Bevorzugte Verordnung levonorgestrelhaltiger Arzneimittel
Insbesondere für Erstanwenderinnen und Anwenderinnen unter 30 Jahren sollte zur Schwangerschaftsverhütung die Verordnung eines kombinierten hormonalen Kontrazeptivums mit dem geringsten bekannten Risiko für venöse Thromboembolien bevorzugt werden.
Die Anwenderinnen sollten außerdem durch die verschreibenden Ärztinnen und Ärzte besser über das Risiko von venösen Thromboembolien informiert werden. Bevor ein hormonales Verhütungsmittel verschrieben wird, ist es notwendig, die Frauen darüber aufzuklären, wie sie selbst Anzeichen einer Thrombose erkennen können. Zudem sollten besondere persönliche Risikofaktoren einer venösen Thromboembolie, wie Rauchen oder Übergewicht, mit den Anwenderinnen besprochen und die Anwendung eines hormonalen Verhütungsmittels individuell abgewogen werden.
Checkliste und Anwenderinnenkarte entwickelt
Unter Beteiligung des BfArM wurde daher mit Abschluss des europäischen Risikobewertungsverfahrens im Jahr 2014 ein Rote-Hand-Brief versendet und eine Checkliste für Ärztinnen und Ärzte sowie eine Anwenderinnenkarte entwickelt. Die Anwenderinnenkarte sollte bei Neuverschreibung von der Ärztin bzw. vom Arzt ausgehändigt werden. Sie enthält wichtige Informationen zum Thromboembolierisiko und erklärt auch, wie eine Anwenderin Anzeichen für eine Thrombose bei sich selbst erkennen kann.
Ziel dieser Maßnahmen ist, dass bei der Verordnung von Verhütungspillen die unterschiedlichen Risiken stärker berücksichtigt werden und die Ärztinnen und Ärzte ihre Patientinnen im Beratungsgespräch besser darüber aufklären, dass es bei den einzelnen kombinierten hormonalen Verhütungsmitteln ein unterschiedlich hohes Risiko gibt, eine Thrombose oder Thromboembolie zu entwickeln.
Der Beratung durch die Ärztin bzw. den Arzt kommt insbesondere dann eine entscheidende Bedeutung zu, wenn junge Erstanwenderinnen gezielt nach einem bestimmten hormonalen Verhütungsmittel fragen, ohne sich vorher genauer mit den Risiken befasst zu haben. Hier muss die ärztliche Beratung in besonderer Weise darauf abzielen, dass Verhütungspillen Arzneimittel sind, die mit ernsthaften Risiken verbunden sein können und keine sogenannten Lifestyle-Produkte. Die Verordnung darf nicht aus kosmetischen Gründen erfolgen.
Geringes Risiko für eine Thromboembolie als Auswahlkriterium
Das BfArM hat sich in diesem Zusammenhang schon im Jahr 2011 dafür ausgesprochen, dass ein möglichst niedriges Risiko eine Thrombose zu entwickeln ein wesentliches Kriterium für die Auswahl eines hormonalen Kontrazeptivums sein sollte.
Was ist eine venöse Thrombose und was eine Thromboembolie?
Unter einer venösen Thrombose versteht man die Entstehung eines Blutgerinnsels in einer Vene, wodurch das Gefäß allmählich verstopft. Sie tritt häufig in einer tiefen Beinvene auf. Dies kann Schmerzen, Überwärmung und Schwellungen verursachen.
Wenn sich Teile des Blutgerinnsels lösen, in den Blutstrom gelangen und verschleppt werden, so kann eine Thromboembolie entstehen. Das Gerinnsel kann bis in die Lunge gelangen. Dadurch werden in der Lunge weitere Blutgefäße verstopft, es kommt zu einer Lungenembolie. Eine solche Thromboembolie kann im Einzelfall sogar tödlich enden.
Wann ist das Risiko für die Bildung einer venösen Thromboembolie unter der Anwendung von kombinierten hormonalen Kontrazeptiva am höchsten?
Im ersten Jahr der Anwendung eines kombinierten hormonalen Kontrazeptivums ist das Risiko der Entwicklung eines Blutgerinnsels am höchsten. Das Risiko ist auch dann erhöht, wenn nach einer Unterbrechung von 4 oder mehr Wochen die Anwendung wieder aufgenommen wurde.
Weitere Risikofaktoren für die Entwicklung einer venösen Thromboembolie sind z.B. starkes Übergewicht, Alter > 35 Jahre, Rauchen, Thrombose/Thromboembolie bei einem nächsten Angehörigen in relativ jungen Jahren (d.h. jünger als 50 Jahre), die Zeit kurz nach einer Entbindung und bei längerer Immobilisierung (nach Krankheit oder Operation).
Bitte melden Sie alle Verdachtsfälle von unerwünschten Wirkungen eines Arzneimittels an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Kurt-Georg-Kiesinger-Allee 3, 53175 Bonn oder über das Internet:
.